Monday, October 02, 2006

Montréal im Herbst

Gestern Morgen erwachte ich leicht benebelt und mit einem Brummen im Kopf.
Vicodin und Alkohol in Massen vertragen sich nicht unbedingt soooo gut, wie ich wieder einmal feststellen musste.
Immerhin hatte ich keine Albträume von Allenby, wie beim letzten Mal, als diese Kombination auftrat. Ich hatte nur noch ziemlich seltsame Erinnerungen an Wilson und war mir nicht darüber klar, was davon überhaupt stimmte und was ein Drogentraum war.
Falls es kein Traum war, muss ich leider zugeben, dass der Fleck, von dem er behauptet, ihn auf seinem Hintern zu haben, ein Knutschfleck ist. (Nein, es ist sicher nichts gelaufen, werte Kollegen! Es war nur eine weitere Art, ihn aus der Fassung zu bringen.)
Im Bad spritze ich mir erst einmal kaltes Wasser ins Gesicht, um einigermaßen geradeaus gucken zu können. Erstaunlicherweise sah ich gar nicht so schlimm aus wie ich mich fühlte. Gut, das würde mir Kommentare von Nathan ersparen.

Nach dem Duschen fühlte ich mich schon besser, kleidete mich an und hoffte, dass James sich schon um Frühstück gekümmert hatte. Der Gang die Treppe hinunter belohnte mich schonmal mit Kaffeeduft. Zusätzlich hörte ich Stimmen und unterdrücktes Gekicher. Es schien, als seien Jims Eltern zurückgekehrt.
Am Treppenabsatz angelangt legte ich den Kopf schief, um ins Wohnzimmer zu spähen. James linste aus der Küchentür, hob kurz grüßend die Hand und war bereits auf dem Weg, seine Eltern zu begrüßen. Er erstarrte jedoch in der Wohnzimmertür und neugierig trat ich hinter ihn um zu sehen was los war.
Ruth und Nathan besahen sich grade meine Smokinghose, die quer übers Sofa geworfen war, meine Schuhe, die unter dem Tisch übereinandergekullert waren und Wilsons Jacke, die achtlos auf dem Boden neben dem Sofa lag.
Ruth blickte auf, als sie James in der Tür bemerkte und lächelte uns zu.
"Hattet Ihr noch einen schönen Abend?"
Nathan verkniff sich ein Grinsen und brummte ein "Guten Morgen, die Herren!"
Auf meinem Gesicht breitete sich auch ein Grinsen aus. Es sah so eindeutig aus, wobei es doch so harmlos war.
James fand das Ganze offensichtlich weniger lustig, denn er lief knallrot an und stammelte den Hergang des Abends daher und entschuldigte sich, dass wir die Sachen vergessen hatten wegzuräumen.
Ein klein wenig enttäuscht tätschelte Ruth seine Schulter. "Das ist doch überhaupt nicht schlimm." Dann wedelte sie mit einer Papiertüte. "Hat einer Lust auf Bagels, Rührei und Kaffee? Ihr habt sicher auch noch nicht gefrühstückt."
"In meinen Ohren klingt das wie Musik", entgegnete ich, während ich unsere Klamotten zusammenraffte und mich wieder auf den Weg nach oben machte, um sie wegzuräumen.
James blinzelte kurz und nickte. "Okay, ich decke den Tisch." Und damit folgte er seiner pfeifenden Mutter in die Küche.

Kurze Zeit später saßen wir alle Vier einträchtig am Frühstückstisch und ließen uns die Bagels und Rührei a´la Nathan schmecken. James entdeckte sogar einen roten Kaffeebecher im Schrank und stellte in grinsend neben meinen Teller.
"Hier, damit du auch nicht aus deinem Trott kommst..."
"Danke, danke", meinte ich, während ich meinen Bagel mit Thunfisch und Sandwich-Creme zuklatschte.
James schüttelte den Kopf. "Du bringst dich irgendwann um mit diesem Essen. Wie kannst du das bloß als erstes am Tag essen?"
Ich zuckte die Achseln. "Ganz einfach: Reinbeißen, kauen, runterschlucken..."
"Blöde Frage, blöde Antwort", brummte Nathan hinter seiner Morgenzeitung hervor.
Ich glaube, inzwischen kann er mich vielleicht doch ein klein wenig leiden. Bei unseren früheren Begegnungen hatte ich immer das Gefühl, er könne mich nicht ertragen.
"Und? Wann ward Ihr denn im Bett?", fragte Ruth fröhlich.
"Oh, im Bett waren wir recht früh. Aber geschlafen haben wir spät!" versetzte ich.
James verschluckte sich an seinem Kaffee. "Mein Gott, Greg! Musst du denn immer so zweideutig sein?!"
Ich schaute ihn unschuldig kauend an. Er verdrehte die Augen. "Jaja, und dann dieser Blick als könntest du kein Wässerchen trüben..."
Ruth giggelte. "Jim, was ist denn los? Er hat nur gesagt, dass Ihr noch nicht sofort geschlafen habt."
James hob nur die Schultern und lenkte seine ganze Konzentration auf das Rührei auf seinem Teller.
"Wir waren auch noch sehr lange auf, deshalb haben wir auch bisher noch nicht gefrühstückt", fuhr seine Mutter fort. "Nathan hat da so ein Playstationspiel entdeckt und die halbe Nacht durchgespielt."
James hob den Blick. "So? Welches denn?"
"Der Pate", kam es hinter der Zeitung hervor und Nathan hob kurz den Blick vom Lokalteil. "Sean meinte, es sei ein Geschenk von Gregory."
Ich grinste und bestrich Bagel Nummer 2 mit Erdnußbutter und Marmelade, was mir wieder einen gequälten Blick von Wilson eintrug.
Er wandte sich dann an seinen Stiefvater. "Und meinst du nicht, dass das nicht unbedingt für einen 13jährigen geeignet ist?"
Nathan schnaufte. "Scheißegal, was draufsteht. Is auch nich schlimmer als der Kram, den er im Fernsehen sieht."
Ich summte ein kleines Liedchen vor mich hin und nahm einen Schluck Kaffee.
Wilson schüttelte den Kopf und das Telefon läutete. Nathan grunzte unwillig, erhob sich aber und nahm ab.
"Hallo? .... Wer? .... Ja, einen Moment, er ist hier."
Damit drehte er sich zum Frühstückstisch um. "Greg, das ist für dich."
Ich zog überrascht eine Braue hoch. "Für mich?"
Er nickte und hielt mir den Hörer hin. Ich runzelte die Stirn. Kein Mensch in Plainsboro kannte die Nummer der Wilsons, wer also sollte das sein?
"Es ist ein Dr. Allenby", meinte Nathan und legte mir den Hörer in die Hand.
Gute Güte!
Wilson ließ seinen Kopf auf den Tisch sacken und kicherte in sich hinein.
Ich meldete mich endlich. "Ja, hallo? Gregory House hier?"
Am anderen Ende war zunächst nur ein Herumdrucksen zu hören.
"Hmmmmm....", meinte ich, "Offensichtlich ein Scherzanruf..."
"Nein, nein, nein, nein!", beeilte Allenby sich am anderen Ende der Leitung zu sagen. "Ich bin es, Louis."
"Looooouuuuuuis!", rief ich in gespielter Freundlichkeit aus und zog eine Grimasse. "Was ist denn los, dass du die Auskunft um diese Nummer hier bemühst? Irgendwelche Probleme mit deinem Projekt?", fragte ich scheinheilig.
"Ähm...nein...keine Probleme. Ich...ich...ich wollte...bloß mal nachhören, wie es dir so geht..."
"Nur nachhören, wie es mir geht?", fragte ich zurück, damit die anderen auch mitbekamen, worum sich das Gespräch drehte. Wilson war nahe am Lachkrampf, seine Eltern beobachteten das Schauspiel verständnislos.
"Das ist aber aufmerksam von dir", fuhr ich mit eine breiten Grinsen fort, das sich durchs Telefon sicher wie ein Lächeln anhörte.
Ich gab meiner Stimme eine warmen Unterton und erklärte ihm, es ginge mir blendend und ich würde mich gut erholen.
"Wie schön...", kam es zurück. Drucksen, Schweigen, tiefes Einatmen. "Weißt du, ich vermisse dich...."
"Du vermißt mich? Wie...nett. Morgen fliegen wir ja wieder zurück und Dienstag bin ich wieder mit den anderen Sklaven auf der Galeere."
"Ich...freu mich schon sehr auf dich. Und...ich wollte mich nochmal bedanken..."
"Bedanken? Wofür denn?"
Erneutes tiefes Einatmen. "Für den wunderschönen Abend..."
"Aaach, da nich für", entgegnete ich. "Ist noch was?"
"Hrm...nein...."
"Gut, dann hab noch eine schönen Sonntag. Bis Dienstag dann!"
Damit legte ich auf und starrte mit einem fassungslosen Grinsen den Hörer an.
"Er ruft an, weil er dich vermißt???", rief James aus.
Ich zuckte die Achseln. "Das ist es, was er gesagt hat. Und er wollte sich für den wunderschönen Abend bedanken..."
Wilson gluckste. "Wenigstens einem hat dieser Abend gefallen..."

Nach dem Frühstück gammelten wir ein bißchen auf dem Sofa herum und warteten darauf, einen klaren Kopf zu bekommen. Draußen kündigte sich ein wunderschöner Frühherbsttag an und die Sonne schien durch die Fenster. James richtete sich auf und gab mir einen Klaps auf den Rücken. "Wie sieht es aus? Wollen wir nicht etwas spazieren gehen?"
"Familien-Sonntags-Vergnügen?", grinste ich ihn an.
"Ganz genau!", grinste er zurück und stand auf.
Ich zuckte die Achseln. "Warum nicht?", und rappelte mich vom Sofa hoch.
Wir holten unsere Jacken und verabschiedeten uns.
"James, du siehst schnucklig aus in diesem Mantel", meinte ich im Hinausgehen und griff ihm dabei noch einmal kräftig an den Hintern.
Er zuckte zusammen, wirbelte zu mir herum und zischte nur "Greg!!!"
"Hab dich nicht so", beruhigte ich ihn. "Hat keiner gesehen."
Er schnaufte tief und wir setzten uns in Bewegung.
"Sollen wir in die Stadt reinfahren und da etwas gehen?", wandte er sich mir dann zu.
"Wegen mir können wir auch reinlaufen - ich muss mich bloß zwischendurch immer mal setzen."

Die Luft war herrlich, die Blätter färbten sich schon und ich genoß es, einfach herumzustromern und nichts tun zu müssen und an nichts denken zu müssen. Schöner wäre das Ganze mit zwei gesunden Beinen gewesen, aber den Gedanken schob ich mit zwei Vicodin beiseite. James sah mich von der Seite her an, sagte aber nichts dazu. Ich weiß auch so, dass er der Meinung ist, ich nähme zuviel davon und hatte keine große Lust auf eine weitere Diskussion darüber.
So schwiegen wir von Zeit zu Zeit einfach nur, plauderten über Gott und die Welt und genossen den Tag. Nach einer Weile musste ich kurz Pause machen, setzte mich auf ein Mäuerchen und rieb meinen Oberschenkel. James tätschelte kurz mitfühlend mein Bein und zu allem Überfluß ziepte es auch noch in meinem Magen.
"Mist, da ist es wieder..."
James schaute mich besorgt an. "Was denn?"
Ich verzog das Gesicht. "Dieses Ziehen im Magen."
Jim verschränkte die Arme und blickte geradeaus. "Greg, ich hab dir schonmal gesagt, dass das nicht witzig ist!"
"Siehst du mich etwa lachen?", fragte ich ihn leicht angesäuert. Ich frage mich wirklich, was seine seltsame Reaktion darauf immer soll.
Er schaute mir forschend ins Gesicht, sagte aber nichts mehr.

Wir gingen weiter - unterwegs machte ich das Foto von Wilson, das er schon in seinem Blog gezeigt hat - und unterhielten uns sehr gut. Unsere Schritte führten uns in einen Park und ich fühlte mich so wohl, wie es mit einem kaputten Bein geht. Beide waren wir gut gelaunt und im Park ließ James es sich nicht nehmen, mich zu fotografieren. "Man sieht dich viel zu selten so", meinte er dazu.
In der Stadt hatten die Cafés immer noch Plätze draußen und wir ließen uns an einem der Tische nieder und bestellten Latte Macchiato (Wilson) und Espresso (ich).
Beim Warten auf den Kaffee ist dieses Bild hier entstanden:

Man beachte besonders die "geschmackvolle" rosa Serviette unter meinem Ärmel. Der Espresso jedoch war famos und steigerte meine Laune weiter. So saßen wir gut gelaunt draußen beim Kaffee, ich machte Witze über Wilsons weibische "befleckte Milch" und wir kamen von einem Lachanfall zum nächsten. Es ist unglaublich, wie seine Augen leuchten, wenn er so lacht. Ich sah ihn einfach nur an und schmunzelte trotz des merkwürdigen Gefühls im Magen.
"Was ist denn?", fragte er irgendwann - immer noch lachend.
Ich grinste ihn an und zuckte die Achseln. "Nichts. Du bist nur so schnuckelig!"
Als Antwort landete seine Serviette in meinem Gesicht.

Auf dem Weg zurück musste ich mich immer öfter setzen und als ich das nächste Mal wieder auf einer Mauer niedersank, schaute ich James von unten herauf mit großen, runden Augen an und seufzte "Es tut mir wirklich leid, Jimmy..."
Er setzte sich zu mir und fragte "Was denn?"
Ich stubste meinen Stock auf den Boden und sah ihn von der Seite her an. "Dass ich so oft bremsen muss. Du hättest wirklich normale Freunde verdient..."
Er schaute mich ungläubig an, seine Augen wurden ein wenig feucht und er legte mir kurz den Arm um die Schultern. "Das...das ist doch kein Problem, Greg. Es macht mir nichts aus, öfter mal anzuhalten." Er drückte mich kurz und sah mich wieder an. "Ich könnte mir keinen besseren Freund wünschen...."
Treue braune Augen blickten mich voller Zuneigung an und ich hatte ihn genau da, wo ich ihn haben wollte. Ich zauberte einen unsicheren Augenaufschlag hervor und bat "Ob...ich meine, ich will dir ja nicht zur Last fallen...Aber...ob du dich gleich nochmal um mein Bein kümmern könntest?"
Er lächelte mich an. "Aber natürlich!"

(Jim, wenn du das hier liest, sei bitte nicht sauer...Es war nicht böse gemeint.)

8 Comments:

Blogger Dr. Allison Cameron said...

Aber mir vorwerfen, ich würde Menschen manipulieren! ;-)

October 02, 2006  
Blogger Dr. Gregory House said...

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich das, was ich will dadurch bekomme, dass die Menschen um mich herum meinen, sie würden es mir freiwillig geben.

October 02, 2006  
Blogger Dr. Allison Cameron said...

Jaja, sie sind durch und durch ein Perfektionist! *lach*

October 02, 2006  
Anonymous Anonymous said...

Der arme Jimmy!!!

October 02, 2006  
Blogger Dr. Allison Cameron said...

Ach,Jana, ich glaub, das macht er ganz gerne!

October 02, 2006  
Blogger Dr. Gregory House said...

Was hat das denn mit Perfektionismus zu tun?
Das ist doch nur...natürlich.

Jimmy und arm?
Nie und nimmer.
Er muss das ja nicht machen, wenn er nicht will...

October 02, 2006  
Anonymous Anonymous said...

Das "arm" bezog sich eigentlich nur auf seine Eltern!

October 04, 2006  
Blogger Dr. Gregory House said...

Was ist denn mit denen?

October 04, 2006  

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