Wednesday, October 18, 2006

James

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis James in meinem Büro auftauchte, nachdem er angekündigt hatte, loszugehen.
Ich hatte schon überlegt, ob er einen Umweg über Alaska genommen hatte, als es zaghaft an meiner Tür klopfte. Sehen konnte ich nichts, da ich die Blenden geschlossen hatte, aber ich dachte mir, das muss er jetzt wohl endlich mal sein.
"Hm", brummte ich nur und schaute so desinteressiert wie möglich auf die sich öffnende Tür.

Ich hatte jedoch die größte Mühe, meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen - James sah gelinde gesagt furchtbar aus. Er war weiß wie die Wand, die Auge waren gerändert und verdächtig verquollen. Gekleidet war er zwar adrett wie immer, hatte aber eine ungemein fertige Ausstrahlung.
Grußlos deutete ich auf meinen Besucherstuhl und schaute ihm zu, wie er das Gesicht verzog, als er die paar Schritte ging. Halb hatte ich das Bedürfnis aufzustehen um ihm zu helfen, dann aber dachte ich bloß Hey, wer ist hier eigentlich der Krüppel? und blieb sitzen. Sein Fuß schien ihm große Schmerzen zu bereiten und er schien ihn kaum belasten zu können.

Mit einem unterdrückten Seufzen ließ er sich in den Stuhl gleiten und schloß kurz die Augen. Ich sah ihn immer noch nur an und spielte mit meinem 8Ball.
Er öffnete die Augen und schaute zurück. Dabei sah er so zerknirscht aus, dass ich einen Kloß im Hals bekam und ihn am liebsten umarmt hätte, aber natürlich blieb ich sitzen und bedachte ihn mit einem kritischen Blick. Dann schaute ich auf den 8Ball.
"Sitzt grade ein sturköpfiger Hornochse vor mir?", fragte ich und schüttelte die Kugel. Die Antwort war Alle Anzeichen deuten auf Ja.
Ohne eine Miene zu verziehen zeigte ich Jim die Antwort.
Dann schüttelte ich die Kugel erneut. "Hat der Trottel vor mir gestern seine Frau gepoppt?"
Auf gar keinen Fall las ich im Antwortfeld und reichte den Ball wieder an James weiter, der auf seiner Unterlippe herumkaute und mich ansah.
Nach einem kurzen Blick darauf meinte er bloß: "Geradezu gespenstisch...Das Ding kennt ja alle Antworten..."
Mein Herz machte einen winzigen Hoppler - also hatte er doch ein wenig auf mich gehört? Ich ließ mir aber nichts anmerken und lehnte mich mit aneinandergelegten Fingerspitzen im Stuhl zurück.
"Du bist noch...sauer...oder?", fragte James mich mit einem Hundebaby-Augenaufschlag.
Ich zuckte nur die Achseln und fixierte ihn weiterhin.
Als seine Augen verdächtig nass wurden, bot ich ihm allerdings rasch einen Kaffee an.
"Magst du einen?"
Er atmete tief ein und nickte nur. Ich humpelte kurz in unsere Küche und kam mit einem Milchkaffee zurück. Wortlos stellte ich ihn auf dem Schreibtisch vor ihm ab und wollte grade weitergehen, als er mich an der Hand festhielt.
"Greg...es tut mir so leid..." meinte er tonlos und sah mich von unten her an.
Ich zuckte die Achseln. "Was denn? Du musst doch selber wissen, was du machst."
Er schaute mich unverwandt an und streichelte abwesend mit seinem Daumen meine Handinnenfläche.
"Ich habe dich mit meinem dämlichen Verhalten verletzt. Und es musste sicher den Anschein haben, als würde ich auf die Meinung meines Freundes so gut wie gar nichts tun. Ich habe dumme Sprüche gerissen und dich vor den Kopf gestossen..."
Ich entzog ihm meine Hand und humpelte zu meinem Stuhl zurück.
"Und du hast augenscheinlich deinen Fuß zertrümmert...", meinte ich und warf ihm eine Vicodin zu.
Er sah kurz auf das randvolle Glas und wollte etwas sagen, was er sich aber verkniff. Gut so, ich hatte keine Lust auf Medikamentenkonsumdiskussionen.
Die Vicodin nahm er nicht, sondern steckte sie in seine Kitteltasche.
"Für den Notfall", murmelte er. "Geht schon."
"Auch für den Notfall", meinte ich und schob ihm seinen Schlüssel für mein Appartment über den Schreibtisch.
Sein Blick zeigte mir, dass er verstanden hatte, dass ich ihm damit die Friedenshand gereicht hatte und er lächelte kurz. "Danke...Dann hatte ich ihn wirklich bei dir vergessen. Kurz hatte ich schon geglaubt, Julie hätte ihn in den Müllschlucker geworfen."
Er schlug die Beine übereinander und streifte dabei mit seinem Fuß meine Schreibtischkante, was ihm ein scharfes Zischen entfahren ließ. Er kniff die Augen zusammen und biß die Zähne aufeinander.
"Nur geschwollen, hm?", meinte ich trocken und kam um den Tisch herum, um mich vor ihn auf den Schreibtisch zu setzen.
"Ja, es geht schon...."
Ich wedelte mit der Handin Richtung seines Fußes. "Schuh und Socken aus!"
Er schaute mich kurz stur an, aber es reichte, dass ich eine Braue hob und er war folgsam.
Als ich den Fuß sah, pfiff ich leise durch die Zähne. "Leicht geschwollen? Wie um alles in der Welt bist du in deinen Schuh hereingekommen?"
James schaute mich verlegen an und hob hilflos die Schultern.
Der Fuß war stark angeschwollen und auf dem Spann blau verfärbt. Vorsichtig tastete ich ihn ab und von Zeit zu Zeit zuckte James vor Schmerz zusammen.
Entschuldigend sah ich ihn an. "Tut mir leid, ich gebe mir die größte Mühe, dir nicht wehzutun."
Er nickte und seufzte.
"Distorsion oder Fraktur...das musst du röntgen lassen..."
"Muss das sein?"
"Hast du Eis draufgepackt?"
"Ja."
"Und es ist nicht besser geworden...also ab zum Röntgen."

Es stellte sich heraus, dass es eine üble Distorsion mit kleinsten Faserrissen an den Sehnen ist. So hat er einen Kompressionsverband bekommen, Schmerztabletten und ein Gel zum Einreiben. Einen Gips hat er selbstverständlich abgelehnt. Glücklicherweise waren keine Kapseln und Bänder betroffen.
Er ist eben zurück in sein Büro gehumpelt - derzeit müssen wir ein sehr seltsames Bild abgegen, wenn wir zusammen durch die Gänge gehen. Am liebsten hätte ich ihn umarmt, habe mich aber zurückgehalten.
Gleich reissen wir kurz aus, um beim Italiener um die Ecke essen zu gehen.

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