Wie ich befürchtet hatte, hat James sich nicht darauf einlassen wollen, meine Eltern in der Bronx auszusetzen. "Und wenn du 100mal den Abwasch machst,
das geht nicht!"
Er war ziemlich entsetzt, als es ihm dämmerte, dass ich das tatsächlich ernst meinte.
Schmollend setzte ich mich also zu ihm ins Auto und hatte mich dazu überreden lassen, mich einigermaßen schick zu machen, falls wir später wirklich noch essen gehen würden. Also entschied ich mich für etwas ähnliches wie gestern Abend. Immerhin hatte ich ja noch im Hinterkopf, wie gut das James gefallen hatte...
Im Auto legte ich missmutig
Eyes without a face ein, die Version von Tori Amos, und sprach auf der Fahrt zum Flughafen ziemlich wenig.
Auf dem Weg zum Terminal betrachtete ich mich nochmal kurz in einer Fensterscheibe und zupfte an meinen Haaren rum.
"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du möchtest gut aussehen, wenn du deine Eltern triffst", meinte James trocken und sah mich von der Seite her an.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich möchte bloß gut aussehen, wenn ich mit dir unterwegs bin. Du sollst dich ja nicht schämen müssen..."
"Das würde ich niemals..."
Wir lächelten uns kurz an, dann seufzte ich wieder. "Können wir nicht einfach wieder fahren?"
James packte mich am Arm und zog mich weiter. "Können wir nicht. Was würdest du denn sagen, wenn du nicht abgeholt würdest?"
Ich schnaufte. "Ich würde mir ein gottverdammtes Taxi nehmen und niemandem auf die Nerven fallen!"
"Greg, sie haben dich bestimmt schon zwei Jahre nicht mehr gesehen!"
"Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen..."
"Ach, komm weiter jetzt!"
Wir bogen grade um die Ecke, als ich sie auch schon mit ihrem Gepäck aus der Ankunftshalle rollen sah. Mein Vater, der ewige Marine - er sah immer noch aus, als trüge er seine Uniform und der Haarschnitt war schon seit eh und je derselbe. Ich glaube, er hatte bereits nach meinem ersten Atemzug beschlossen, mich zu hassen... Immer geradeheraus, immer ehrlich und schwer zu ertragen. James meinte vor einigen Jahren mal, wir wären uns eigentlich gar nicht sooo unähnlich, woraufhin ich ihm fast eine geklebt hätte.
Meine Mutter hatte uns erspäht und winkte uns fröhlich zu. "Greeeeeg! Hallooooooo!" Ich musste wider Willen lächeln, meine Mom war...in Ordnung.
Mein Vater blickte muffig auf und liess sich zu einem Nicken hinreissen. Oh Wunder! Aber er hatte James zugenickt, nicht mir.
Als sie bei uns angelangt waren, wurde ich von meiner Mutter fast erdrückt mit ihrer Umarmung, dann hielt sie mich ein Stück von sich weg. "Gut siehst du aus...Ist irgendwas passiert, von dem ich wissen sollte?"
Ich zog es vor zu schweigen und zog bloß eine Braue hoch. "Hi, Mom..."
"Aber sag mal...isst du auch vernünftig?"
Da war es wieder.
Sie wandte sich an James und schüttelte ihm herzlich die Hand. "Dr. Wilson! Jaaaames! Wie schön, Sie wiederzusehen!"
Er nickte ihr mit einem herzerwärmenden Lächeln zu. "Hallo, Blythe."
"Sagen Sie, isst Greg auch vernünftig?"
Mein Vater schnaufte, "Woher soll er das wissen?", und schüttelte Jim dann die Hand. "Nett Sie wiederzusehen, James."
Dann wandte er sich an mich und nickte bloß, was James zu einem besorgten Seitenblick zu mir veranlasste. Aber dieses Verhalten störte mich schon lange nicht mehr.
"Wir wohnen im Nassau Inn in Princeton", knarzte er mir dann zu. "10 Palmer Square."
Ich nickte. "Dann wollen wir Euch da mal hinbringen..."
Damit humpelte ich voraus in Richtung Auto. Hoffentlich würden sie einfach in ihr Hotel gehen und das wars.
James war in Smalltalk verwickelt und sprach mit meinem
Vater, während meine Mutter an meine Seite huschte.
"Greg, es ist wirklich schön, dich wiederzusehen. Wir sehen uns viel zu selten. Ich habe dich vermisst."
"Ich könnte gut auf
ihn verzichten!", knurrte ich bloß.
Meine Mutter seufzte. "Er liebt dich, Gregory...egal, wie er sich verhält."
"Du weißt verdammt gut, dass er mich nicht ausstehen kann..."
Da wir nun am Auto waren, ließ ich es dabei bewenden und schaute James erwartungsvoll entgegen. Bloß schnell das Gepäck verstauen, meine Eltern ins Auto packen, rauswerfen und abhauen.
Die Fahrt wäre schweigsam verlaufen, wenn meine Mutter nicht geredet hätte wie ein Wasserfall. Am Hotel angelangt kam das Verderben über mich.
"Wollen wir nicht zusammen essen? Es ist nett hier, das Hotel hat sicher auch ein gutes Restaurant. Komm, John, wir laden die beiden ein...Oder haben Sie noch einen Termin, James?"
James öffnete den Mund, aber ich war schneller. "Sicher eine Menge glatzköpfiger Krebspatienten... Er wird keine Zeit haben...Und ich..."
"Greg, wir haben beide nichts vor!", fiel er mir ins Wort und lächelte dann meiner Mutter zu. "Ich würde mich freuen, aber Sie müssen uns wirlich nicht einladen."
Mom klatschte in die Hände. "Wie schön! Doch, das wollen wir aber, nicht wahr, John?"
Mein Vater zuckte die Achseln. "Dr. Wilson. Greg kann für sich alleine bezahlen."
"Mit Vergnügen!", schoss ich dazwischen und James sah unbehaglich von einem zum anderen.
Meine Eltern checkten ein und James und ich warteten derweil an der Bar. Ich brauchte erstmal einen Scotch und kippte ihn in einem Zug runter.
(Die Bar jedenfalls ist ganz nett dort:
)
"Woher du
das bloß hast...", sinnierte James und grinste mich aufmunternd an.
"Wenn du noch einmal versuchst anzudeuten, dass mein Vater und ich uns ähnlich sind, schläfst du auf der Couch..."
Gespielt ängstlich biss er sich auf die Finger. "Alles, nur das nicht!"
Meine Eltern hatten sich ein wenig aufgefrischt und ich wunderte mich über Moms betroffenes Gesicht. Als wir uns einen Tisch zuweisen liessen, nahm sie James am Arm.
"Oh, das tut mir so leid! Eben hat Ruth mich auf meine Mobile angerufen...Julie hat Sie verlassen?"
Ich lehnte mich innerlich zurück und sah James beim Herumdrucksen zu. "Ja...vor ein paar Tagen...Sie hat jemand anderen."
Wie erwartet, klopfte mein Vater ihm aufmunternd auf die Schulter. "Keine Sorge, Junge! Ein Kerl wie Sie bleibt nicht lange allein. Aber das wissen Sie ja selber."
Mit einem abschätzigen Blick zu mir fuhr er fort "Was ich von
ihm hier nicht behaupten kann! Als Stacy weg war, wussten wir beide, er wird den Rest seines Lebens allein bleiben!"
James griff unter dem Tisch nach meiner Hand und ich drückte sie dankbar. "Wenn du wüßtest, alter Zausel", dachte ich bloß grimmig und wandte mich der Speisekarte zu.
"Sie haben keine hohe Meinung von Ihrem Sohn, John...", begann James und ich war erstaunt.
"Er ist ein Arschloch, James, das müssten
Sie doch am besten wissen", meinte mein Vater, als würde er über jemanden reden, der gar nicht da ist. "Er hat von klein auf die Leute genervt und ich frage mich, wie Sie es so lange mit ihm aushalten. Aber ich rechne es Ihnen hoch an. Das ist eben Freundschaft."
"John!", rief meine Mutter dazwischen und James sagte im gleichen Moment "Er ist ziemlich brillant. Und ein sehr guter Freund."
Mein Vater sah mich an und verzog das Gesicht. "Ob brillant oder nicht - Arschloch bleibt Arschloch. Dann ist er eben ein brillantes Arschloch, stört mich nicht. Gut für seine Patienten."
Meine Mutter beugte sich vor und drückte mir mit einem "Er meint es nicht so"-Gesicht die Schulter. Ich grinste sie ironisch an und bestellte Rehrücken, als die Bedienung an den Tisch kam. Dazu gleich eine ganze Karaffe Barrique, damit ich mich abschießen konnte.
James schüttelte leicht fassungslos den Kopf. Ich glaube, er verdrängt immer recht schnell, wie das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir wirklich ist. Meine Hand hielt er immer noch, was die Bedienung mit einem irritierten Lächeln bemerkte, als sie seine Bestellung aufnahm. Schnell ließ er los und zupfte verlegen an seiner Krawatte herum.
Als wir dann bereits mit Getränken versorgt waren, fuhr Mom natürlich sogleich fort. "Allerdings hat Ruth mir auch gesagt, dass da jemand wäre..."
James nahm einen großen Schluck von seiner Cola Light. "Hat sie?"
Mein Vater grinste jovial. "Hab ichs nicht gesagt? Sie hatten doch schon wen im Auge, stimmts?"
Wider Willen stahl sich ein mehr als strahlendes Lächeln auf James' Gesicht und meine Mutter schaute ihn warmherzig an.
"Ruth sagte mir, dass das schon seit vielen Jahren so geht. Wie kann das nur sein, dass Sie sich nie an diese Person herangetraut haben?"
"Ähm...", begann Jim, während ich meinen Rehrücken fixierte als ob der Stein der Weisen irgendwo darin versteckt sei. "Ich...weiß auch nicht. Es...war schwierig..."
"Und?", fragte mein Vater. "Hat's geklappt?"
Ja, hat's! Und ich habe jetzt sogar eine Art Schwiegervater...und der mag mich sogar!Ich schwieg weiter und schaute nicht von meinem Essen auf. James neben mir nickte und legte mir heimlich seine Hand aufs Knie.
Meine Mutter juchzte ein wenig auf. "Ja, Ruth hatte angedeutet, dass es nun endlich geklappt hat."
"Wie sieht sie denn aus?", fragte mein Vater interessiert.
Ich rollte eine Krokette auf meinem Teller hin und her und wünschte mich weit weg.
James räusperte sich. "Also...sie...ähm...die Person..."
"Na?", kam es weiter aufmunternd von meinem Vater.
"Gut..also...groß, schlank...braune, leicht wellige Haare und sehr blaue Augen..."
Ich wünschte mir, unter mir möge sich ein Loch im Boden auftun.
"Klingt doch gut!", polterte Dad. "Langbeinig?", grinste er hinterher.
James nickte. "Ziemlich..."
"Wie heißt sie denn?", wollte meine Mutter wissen, was James zum Husten brachte. Die Wendung, die der Abend genommen hatte, gefiel mir gar nicht.
"Sie...hm...riecht gut...", meinte James ablenkend und ich spürte, wie ich feuerrot anlief.
"Was hast
DU denn jetzt?!", fragte mein Vater abfällig und sah mich kopfschüttelnd an.
"Nichts", krächzte ich und hob abwehrend die Hand. "Alles bestens..."
Er grinste und legte den Kopf kurz in meine Richtung. "Neidisch isser...Der hoffnungslose Fall..."
Meine Mutter trat ihn unter dem Tisch gegen sein Schienbein und eine Weile aßen wir schweigend weiter und ich kippte ein Glas Wein auf Ex herunter, zwei Vicodin hinterherschickend.
"Du solltest die wirklich nicht mit Alkohol einnehmen...", meinte meine Mutter.
"Meist schluck ich sie trocken", entgegnete ich, was meinem Vater ein Kopfschütteln entlockte.
"Junkie!"
Wir hatten unser Essen fast beendet, als meine Mutter schon wieder anfing. "Also, James, wie heißt sie denn?"
"Mom!"
"Was denn?", fragte sie mich erstaunt. Und dann, an James gewandt: "Arbeitet sie auch bei Ihnen im Krankenhaus?"
"Ja..."
"Und wie ist ihr Name?"
"Mom!"
"Nun lass das doch mal, Greg! Ich will doch nur den Namen wissen."
"Lass es doch einfach, Mom!"
"Wieso? Dazu gibt es doch keinen Grund!"
James schaute unbehaglich in seine Cola und schwieg, während ich mit meiner Mutter diskutierte.
"Du bist zu neugierig, Mom..."
"Nun hab dich doch nicht so."
"Lass es doch dabei bewenden. Weißt du nicht schon genug?"
"Ich will doch nur den Namen hören..."
Ich schnaufte. "Gregory! Okay? Zufrieden?"
Meine Mutter schaute mich an wie ein verwirrtes kleines Kind.
"Liebling...nicht deinen Namen...den von James neuer Freundin..."
Ich stützte kurz die Stirn auf die Hand.
"Mom...es ist keine Freundin..."
"Sei nicht abern. Er hat uns doch eben gesagt, dass es endlich geklappt hat..."
"MOM! Es ist
keine Freundin...Ich bin es!"
James neben mir räusperte sich leise, mein Vater hustete und meine Mutter sah mich mit offenem Mund an.
"Du hast eine kranke Art von Humor", meinte mein Vater dann.
"Ich meine das todernst!"
Meinem Vater dämmerte, dass ich nicht log. Das machte ich an der Art fest, wie seine Gesichtszüge entgleisten.
"Ich muss pinkeln!", meinte ich dann und humpelte so schnell ich konnte zu den Toiletten. Dass ich James damit in der Höhle des Löwen alleine ließ, kam mir in meiner Verzweiflung gar nicht in den Sinn.
Ich schloß mich in einer Kabine ein und lehnte mich gegen die Wand. Was für ein grauenvoller Abend!
Wird fortgesetzt...ich gehe kurz James in seinem Büro besuchen...